Mutter und Kind - Gesundheit von Anfang an
Weltgesundheitstag 2005
Was können Mütter für die eigene und für die Gesundheit ihrer Kinder tun und was kann die Gesellschaft dazu beitragen? Auf dem Symposium der LZG am 3. Mai 2005 in Rosenheim wurden vier konkrete Aspekte der Gesundheit von Müttern und Kindern vorgestellt: die Rollen der Frau in unserer Gesellschaft, die Bedeutung belasteter Gesundheit für Mutter und Kind, das Leben mit „bedingter Gesundheit“ bzw. chronischer Krankheit von Kindern, insbesondere bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen, und die Gestaltung gesundheitlicher Prävention für Mutter und Kind. Dazu erging ein „Plädoyer für Toleranz in Pädagogik und Medizin“.
Frau – Mutter – Kind – Karriere
„Zufriedene Mütter haben zufriedene Kinder“
Zur Frage, ob es für Kinder gesund ist, dass die Mutter arbeitet oder gar Karriere macht, gibt es viele, meist emotional begründete Meinungen und Vorurteile, die wiederum bei vielen berufstätigen Müttern Schuldgefühle auslösen.
Angelika Wagner-Link, PTK Bayern
Vergleichende deutsche Studien von Karrieremüttern, berufstätigen Müttern, Familienfrauen und Kindergesundheit existieren nicht. Man könne aber aus anderen Studien Schlussfolgerungen ziehen. Belegt ist beispielsweise, dass Doppelbelastung einerseits als Stress erlebt wird – und Stress kann krank machen –, andererseits aber berufstätige Mütter oft zufriedener sind als Hausfrauenmütter, besonders, wenn der Partner sie unterstützt. Das wiederum ist ein Schutzfaktor gegen Krankheit. Schutzfaktoren für die Gesundheit von Mutter und Kind sind demnach auch das soziale Netzwerk mit Großeltern, Freunden und Nachbarn sowie gesellschaftliche Bedingungen (Kinderbetreuung, Anerkennung der Erziehungsarbeit, flexible Arbeitszeiten).
Gesundheit – von Anfang an
Eine ernsthafte Erkrankung des Kindes belastet immer auch die Mutter und selbstverständlich gilt das auch umgekehrt. Anhand der Beispiele Allergien, Übergewicht und Zahngesundheit ging es um die Bedeutung belasteter Gesundheit für Mutter und Kind. Die Referentinnen informierten über Vorbeugung und Behandlung. Sie alle wiesen auf die große Bedeutung hin, die einer rechtzeitigen Information und Aufklärung insbesondere der Mütter zukommt.
Allergien
Dr. Eberlein-König vom Zentrum für Allergie und Umwelt der TU München berichtete über die Zunahme allergischer Erkankungen wie Asthma, Heuschnupfen und Neurodermitis in den letzten Jahrzehnten. Sind Kinder familiär vorbelastet, d.h. liegt eine allergische Erkrankung in der Familie vor, sollte nach den Leitlinien des Aktionsbündnisses Allergieprävention folgendes zur Vorbeugung beachtet werden: Ausschließliches Stillen in den ersten vier Monaten (wenn nicht möglich, hypoallergene Säuglingsnahrung), Beikost nicht vor Ende des vierten Lebensmonats; Nichtrauchen der Mutter und Vermeidung von Passivrauch (auch in der Schwangerschaft); keine Anschaffung bestimmter Fell tragender; Schimmelpilze in Innenräumen vermeiden, regelmäßige Schutzimpfungen.
Übergewicht
10 bis 20% aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig bzw. fettsüchtig („adipös“). Die wachsende Zahl Betroffener „lässt den Schluss zu, dass die bislang durchgeführten Maßnahmen zur Prävention nicht ausreichen“, sagte Dr. Ina Knerr von der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen. Ziel ist die regelmäßige körperliche Aktivität und eine am Bedarf angepasste gesunde Ernährung. Knerr gab dazu Empfehlungen, betonte die Bedeutung altersgerechter Portionsgrößen („Kinderteller“) und eines geregelten Mahlzeitenrhythmus‘. „Es gilt, wieder zwischen Hunger oder echtem Bedürfnis einerseits und Konsumverhalten bzw. Verführung zum Essen durch Werbung, Naschereien oder Fast Food-Angebote andererseits zu unterscheiden“, sagte sie.
Zahngesundheit von Anfang an
„Die immer noch anzutreffende Aussage ‚Jedes Kind kostet einen Zahn der Mutter‘ entspricht ebenso wenig der Realität wie die fälschliche Interpretation, dass während der Schwangerschaft eine zahnärztliche Behandlung nicht möglich sei“, betonte Dr. E. Paschos von der Zahnklinik der LMU München. Eine gesunde Mutter läuft bei ausgewogener Ernährung und sorgfältiger Mundhygiene auch während der Schwangerschaft nicht Gefahr, Zahnschäden zu bekommen. Um Zahnschäden bei Kindern vorzubeugen, ist das Wissen der Eltern ausschlaggebend. Eine gesunde Ernährung, Fluoridierungsmaßnahmen und die systematische Mundhygiene, sobald der erste Zahn in der Mundhöhle erscheint, tragen dazu bei, dass ein gesundes Gebiss entsteht und erhalten bleibt. Schädliche Gewohnheiten wie etwa das über längere Zeit hingezogene Trinken gezuckerter und/oder säurehaltiger Getränke aus Trinkflaschen sollten unbedingt vermieden werden.
Leben mit „bedingter Gesundheit“ bzw. chronischer Krankheit
Neurologische und psychiatrische Erkrankungen haben oft einen chronischen Verlauf und belasten Kinder und ihre Familien stark. Bayern verfügt für derartige Krankheiten über Fachkliniken und Rehabilitationseinrichtungen mit hohem Standard, insbesondere auch die Region Rosenheim, wie die Schirmherrin der Veranstaltung, Rosenheims Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer betonte. Dr. Stephan Springer (Heckscher-Klinik München) und Dr. Martin Ruf (Heckscher-Klinik Rosenheim) stellten häufige Krankheitsbilder vor.
Die Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit ist im Bereich psychischer Störungen im Kindesalter schwierig. Welche Auffälligkeiten sind noch als „gesund“ zu bewerten, welche gelten bereits als „krank“?
Im Verlauf der Generationen unterliegt die Beurteilung, ob die Verhaltensauffälligkeit eines Kindes eine psychische Krankheit darstellt, angesichts fehlender objektiver Maßstäbe und der Abhängigkeit von gesellschaftlichen Werten und Normen einem stetigen Wandel.
Dr. Martin Ruf, Heckscher-Klinik Rosenheim
Zu den häufigsten psychischen Störungen zählen heute Störungen im Sozialverhalten und Aggressivität, Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen, Lern-, Sprach- und Sprechstörungen, emotionale Störungen (Angst, depressive Verstimmungen) sowie körperliche Zeichen psychischer Störungen wie Einnässen, Kopf- oder Bauchschmerzen. Oft bestehen verschiedene Erkrankungen nebeneinander und verstärken sich gegenseitig. Soziale Ausgrenzung oder chronischer schulischer Misserfolg führen nicht selten zu Folgeerscheinungen wie Aggressivität oder Depression und so entstehen aus dem Leid und der Stigmatisierung durch die eine Krankheit zusätzliche Auffälligkeiten und neue Erkrankungen. „Zur Verhinderung langfristiger, die gesamte Entwicklung des Kindes beeinträchtigender Erkrankungen brauchen Familien – insbesondere Mütter und Kinder – dringend adäquate Versorgungsstrukturen und rasche, fachliche Unterstützung“.
Zu den häufigsten neurologische Erkrankungen im Kindesalter zählen Folgen der Frühgeburtlichkeit, Anfallsleiden (Epilepsien) und geistige Behinderung. Es handelt sich um unterschiedlich schwere Behinderungen. Lebenserwartung und Lebensqualität der betroffenen Kinder konnten in den vergangenen Jahren teilweise deutlich verbessert werden. Das Leben mit einer chronischen neurologischen Krankheit bedeutet jedoch nach wie vor eine große Belastung.
Die Kinder sind einerseits durch die Behinderung in ihrer Entfaltung und Entwicklung beeinträchtigt und andererseits durch den dauerhaften Behandlungsbedarf belastet. Die Familien sind durch die Behinderung der Kinder stigmatisiert, durch die aufwendigen Behandlungen belastet und durch die besondere Rolle der behinderten Kinder in der Familie in ihrem sozioemotionalen Gleichgewicht gefährdet.
Stephan Springer, Heckscher-Klinik München
In der Versorgung der Betroffenen müssen nicht nur unterschiedliche medizinische Fachgebiete zusammenarbeiten, sondern verschiedene Ebenen der Gesundheitsversorgung zusammenwirken.
Auch neue heilpädagogische Ansätze und kompetente Selbsthilfe machen Mut und vermitteln neue Sichtweisen. Ein Bericht aus Rosenheim zeigte neue Wege im Umgang mit betroffenen Kindern: Peter von Quadt, Begründer des Vereins FortSchritt, berichtete über die Arbeit am Konduktiven Förderzentrum, an dem behinderte Kinder nach der Methode des ungarischen Arztes András Petö Bewegungen und Aufgaben des täglichen Lebens erlernen und so in ihrer Eigenaktivität und Eigenverantwortung gefördert werden.
Toleranz in Pädagogik und Medizin
Kinder und Jugendliche sollen zu starken Persönlichkeiten heranwachsen und langfristig dazu in der Lage sein, Konflikte und kritische Lebensereignisse zu meistern. Fundamentale Voraussetzung dafür ist das Ur-Vertrauen des Kindes zur (mütterlichen) Bezugsperson und damit verbunden das Gefühl der Geborgenheit. „Beides gedeiht nur im Medium der Liebe, das heißt der liebenden Zuwendung des Erziehenden zum Kind“, sagte Prof. E. Fuchtmann von der Fachhochschule München. Negativ und hinderlich, ja krankmachend seien Einstellungen und Verhaltensweisen, bei denen das gesundheitliche Funktionieren im Vordergrund stehe: „Psychopharmaka statt Eingehen auf das seelische Problem, Bravmacher und Klugmacher – Psychopillen für Kinder, Schnellmedikation statt Auskurieren … Medikamente statt Toleranz“. Fuchtmann plädierte dafür, derartige „Scheinlösungen im konfliktbeladenen Alltag“ zu hinterfragen.
Ein „Naturschutzbereich“ für Mütter und Kinder
Wir verändern unsere Umwelt mit steigendem Tempo und zwingen uns damit ständig selbst zu neuen Verhaltensweisen, auch in der Prävention. Demgegenüber brauchen Kinder und ihre Mütter für eine gesunde Entwicklung des Kindes und ihrer Beziehung zueinander, damit Grundvertrauen und daraus Selbstvertrauen erwachsen kann, zunächst gleichsam einen 'Naturschutzbereich'. In diesem Bereich sollten auch professionelle Interventionen mit präventiver Zielsetzung in besonderem Maße von Empathie und Respekt getragen sein.
Prof. Dr. Johannes Gostomzyk, LZG

